Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Michael Kohs

Doktorand (Stipendiat 10/2012 - 06/2015)
1. Betreuer
: Prof. Dr. Giuseppe Veltri
2. Betreuer: Dr. Astrid Meier
Mentor: Dr. Daniele Cantini

Die Typologie der Textsorten jüdischer Magie aus der Kairoer Genizaals Ausdruck der religions-, kultur- und epochenübergreifenden Relationen von Magie als sozialem System

Dass Magie im Judentum nicht nur Gegenstand halachischer Diskussionen war, sondern auch praktiziert wurde (und wird), ist unbestritten und mittlerweile ein relativ gut untersuchtes Phänomen. So hat die Erforschung der jüdischen Magie und ihrer Texte in den letzten zwei Jahrzehnten bedeutende Fortschritte erzielt. Seit den 1980er Jahren widmeten sich verschiedene Editionsprojekte mittelalterlichen hebräisch-aramäischen magischen Texten, die in der Kairoer Geniza – einer Mischung aus »Synagogenarchiv« und »Abstellkammer« – Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt, von der Forschung bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts aber praktisch ignoriert wurden. Herauszuheben sind insbesondere die von Peter Schäfer und Shaul Shaked herausgegeben Magischen Texte aus der Kairoer Geniza, mit denen ein umfangreiches Korpus an edierten, übersetzten und kommentierten magischen Textfragmenten aus der Kairoer Geniza zur Verfügung steht.

Konstitutiv für alle Texte – und als eine erste Abstraktionsstufe von ihnen auch für die Textsorten – ist ihre Eingebundenheit in einen Kommunikationsbereich. Unter Kommunikations- oder Handlungsbereichen werden in der Textlinguistik gesellschaftliche – also soziale – Bereiche mit spezifischen Handlungs- und Bewertungsnormen verstanden, die den Kontext für die Verwendung bestimmter Texte und Textsorten bilden. Die Anwendbarkeit des als »sozialer Bereich mit spezifischen Handlungs- und Bewertungsnormen« definierbaren Begriffs Kommunikations- bzw. Handlungsbereich auf den Begriff der Magie erscheint mir offensichtlich. Ich gehe daher davon aus, dass magische Texte einem Kommunikationsbereich »Magie« angehören. Die im Kommunikationsbereich »Magie« vorkommenden Textsorten übernehmen darin spezifische Funktionen und tragen so zugleich zur Organisation wie auch zur Konstituierung des Systems »Magie« bei. In diesem Sinne sollte das Attribut »magisch« in Bezug auf Texte und Textsorten verstanden werden als »zum Kommunikationsbereich Magie gehörend«, und nicht etwa als »eine magische Wirkung oder magische Eigenschaften habend«. Ich nehme weiterhin an, dass im Zentrum des Kommunikations-, das heißt eben auch: Handlungsbereiches »Magie« das Konzept des sogenannten »magischen Aktes«, der magischen Handlung steht. Texte und Textsorten des Kommunikationsbereiches Magie sind daher jeweils in spezifischer Weise auf den magischen Akt, sei es als bloßes ideelles Konzept oder als tatsächlich praktisch durchgeführte Handlung, bezogen. Kommunikationsbereiche finden Korrelate in und sind linguistische Reflexe dessen, was in sozial- oder kulturtheoretischen Modellen als soziales Feld oder soziales System bezeichnet wird. Ich möchte daher dafür plädieren, den Kommunikationsbereich »Magie« und damit einhergehend auch Magie als Ganzes als ein soziales System »Magie« aufzufassen und dementsprechend zu beschreiben. Magie, das heißt Praktiken, die Teil des sozialen Systems Magie sind, dienten (und dienen) der Organisation und Strukturierung des menschlichen Lebens sowohl im privaten, aber auch durchaus im öffentlichen Bereich. Dabei geht es sowohl um die Lösung von Problemen, beispielsweise den Schutz vor Krankheit, übernatürlichen Mächten oder Geschäftskonkurrenten, sowie um das Bewirken positiver Zustände wie das Stiften von Liebe durch Liebeszauber oder Zauber für eine reiche Ernte. Gleichzeitig gehört zum System Magie unabdingbar auch die Tradierung und Organisation von (magischem) Wissen. Da »magische Weltbilder« in vorneuzeitlichen Kulturen ubiquitär verbreitet waren, ist in fast allen diesen Gesellschaften ein soziales System bzw. ein Kommunikationsbereich »Magie« vorhanden.

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass im Bereich der Magie, ähnlich wie auch im Bereich anderer Wissen(schaft)ssysteme, eine lokale und temporale, also diachrone, Bewegungen von Ideen und Konzepten, aber auch materiellen Artefakten wie Handschriften, Amuletten oder Zauberschalen stattfand. So steht die spätantike jüdische Magie unter starkem Einfluss des griechisch-hellenistischen Kulturkreises, was insbesondere durch die zahlreichen Textparallelen zwischen griechischen Zauberpapyri und magischen Texten auch aus der Kairoer Geniza bezeugt wird. Aber auch ägyptische, babylonische und byzantinisch-christliche Einflüsse sind festzustellen. Ebenso wurden »typisch jüdische« Elemente in nichtjüdische magische Texte übernommen. In synchroner Betrachtung wird für die mittelalterlichen magischen Genizatexte deutlich, dass die jüdischen und islamischen Gesellschaften auf dem Gebiet der Magie eng miteinander verwoben waren. Dies zeigt bereits die Tatsache, dass eine Vielzahl von judeo-arabischen und arabischen magischen Fragmenten in der Kairoer Geniza gefunden wurden, die belegen, dass ein fruchtbarer Austausch und gegenseitige Beeinflussung zwischen Juden und Muslimen nicht nur auf dem Gebieten von Wissenschaft und Medizin, sondern auch im Bereich sogenannter »Volksreligion« und Magie stattfand. Gideon Bohak hat darauf hingewiesen, dass »fremdes«, »nicht-eigenes« Text-Material, in welchem teilweise längst untergegangene Sprachen, Schriftsysteme oder Namen widergespiegelt werden, sich besonders hartnäckig in magischen Texttraditionen hält: »The neighbor’s magic is always stronger, and the older a spell the better it must be [...]«.

Die Ziele meines Dissertationsprojektes sind:

  • die textlinguistische Analyse und Beschreibung der Textsortentypologie der bisher edierten hebräisch-aramäischen jüdischen magischen Texte aus der Kairoer Geniza mittels eines kommunikationsorientierten Textmodells

und anhand der so gewonnen Erkenntnisse

  • die Analyse und Beschreibung des sozialen Systems jüdischer Magie im mittelalterlichen Ägypten, wie es durch die Texte widergespiegelt wird; die Untersuchung dieses Systems in Bezug auf die diachronen und synchronen interkulturellen und interreligiösen Dependenzen, Transfers und Tradierungen von Ideen, Konzepten und Artefakten Magie betreffend, insbesondere in Bezug auf islamische und griechisch-hellenistische Magie. Dabei soll das textlinguistische Modell mit einem kultur- oder sozialtheoretischen Modell verknüpft werden.

Curriculum Vitae

since 10/2012

Ph.D. Scholarship holder of the Graduate School "Society and Culture  in Motion" at the Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

2012

M.A. in Judaic Studies and Linguistics at the Freie Universtät Berlin

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