Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Ansprache von Prof. Dr. Jürgen Paul

Sprecher des Vorstands

Das Graduiertenzentrum "Asien und Afrika in globalen Bezugssystemen" ist Teil der Exzellenzförderung des Landes Sachsen-Anhalt, der Schwerpunktbildung insbesondere auch der Geisteswissenschaften. Über die entsprechenden Zielsetzungen der Landesregierung hat Herr Dr. Wünscher bereits gesprochen. Wir sind dem Land ganz außerordentlich dankbar für diese Initiative und hoffen sehr, das so in uns gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen. Welche Ziele das GZAA sich gestellt hat und wie wir uns vorstellen, diese Ziele erreichen zu können, will ich in den folgenden kurzen Anmerkungen darstellen.
Das GZAA hat im Sommer 2005 die Arbeit aufgenommen. Vergeben wurden insgesamt sieben Stipendien für Doktoranden und vier Stipendien für Nachwuchsforscher nach der Promotion. Neben den Stipendien stehen Mittel für Feldforschungsaufenthalte, Gastwissenschaftler, für Investitionen und für Koordination zur Verfügung. Ein zweiter Projektbereich bezieht sich auf die Nutzung digitaler Ressourcen in den außereuropäischen Kulturwissenschaften, wobei besonders die digitale Unterstützung des Sprachunterrichts (etwa in Arabisch, Japanisch und Hebräisch) gemeint ist, aber auch die Bereitstellung von Quellentexten in Form von Datenbanken zur Recherche durch Lehrende und Lernende. Auch dieser Projektbereich ist im vergangenen Sommer gestartet und beginnt sich langsam auf das Alltagsgeschäft in Lehre und Forschung auszuwirken.
Im folgenden möchte ich mich aber auf den Bereich des Graduiertenzentrums konzentrieren, weil hier vielleicht doch die größeren Herausforderungen zu meistern sind. Herr Prorektor Neubert hat bereits das Ziel erwähnt, dem die Graduiertenzentren in der Förderung des Landes Sachsen-Anhalt dienen sollen: Der Erarbeitung einer strukturierten Graduiertenausbildung, mit der Zielvorstellung, dass Doktoranden, die in solchen Zentren arbeiten, schneller zur Promotion gelangen, und nach Möglichkeit mit besseren Dissertationen. Qualitätssicherung durch interne und externe Evaluation ist ein anderes Stichwort.
Wenn ich auch die Bedeutung der vom Land Sachsen-Anhalt finanzierten Stipendien für die Arbeit unseres Zentrums nicht hoch genug einschätzen kann, so ist doch mit den Stipendiaten allein erst ein Kern gegeben. Daher nehmen an der Arbeit des Zentrums auch Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler teil, die nicht durch Stipendien des Landes gefördert werden; diese sind sogar deutlich in der Überzahl. Die strukturierte Graduierten-Ausbildung, die das Zentrum erarbeiten und bereitstellen will, kann ja nicht allein für die Stipendiaten des Zentrums selbst vorgehalten werden.

Das Ziel des GZAA besteht letztendlich in der Herausbildung von Expertise, in der sich detaillierte Kenntnis regionaler und örtlicher Besonderheiten mit einem systematischen Verständnis von weltweit wirkenden Referenzsystemen verbindet, die oft zu einer homogenisierenden Einebnung eben dieser regionalen und örtlichen Besonderheiten beitragen. Dabei sind unsere Fragestellungen nicht auf die zeitgenössischen Globalisierungsprozesse beschränkt, sondern beziehen vergleichbare Vorgänge in einer weiter gespannten historischen und analytischen Perspektive mit ein. Globalisierung kann in diesem Sinn beschrieben werden als die Ausweitung von Handel und Kommunikation, der Zirkulation von Menschen (als Individuen und als Gruppen), Gütern, Ideen über immer größere Räume; diese ausgeweiteten Zirkulationen führen zu einer Homogenisierung von Austauschbeziehungen und zu einer Standardisierung von Codes, wodurch wieder die genannten Zirkulationen ihrerseits ausgeweitet, erleichtert, beschleunigt werden.
Die zeitgenössische Globalisierung hat ein komplexes System sozialer, wirtschaftlicher und politischer Interdependenzen geschaffen, das selbst die entlegensten Winkel des Planeten erfasst. Die Verbreitung allgemeiner Konzepte und Überzeugungssysteme und mit ihnen verbundene Techniken des Austauschs und der Kommunikation mit ebenfalls homogenisierender Wirkung ist jedoch älter als die neuzeitlichen Massenmedien und sogar älter als der Buchdruck. Eine Reihe solcher Zirkulationsräume können identifiziert werden, darunter die hellenistische Welt in Südwestasien, die islamische Zivilisation des Mittelalters, die Steppenreiche von der Spätantike bis zur Neuzeit, um nur einige zu nennen. Natürlich sind diesen Zirkulationsräumen anders als heute in früheren Epochen Grenzen gesetzt; dessen ungeachtet können sie doch mit der zeitgenössischen Globalisierung verglichen werden, weil in ihnen der Austausch von Konzepten und Praktiken ebenso möglich war wie die Abwandlung, Transformation und Adaptation dieser Konzepte und Praktiken.
Asien und Afrika haben in der Verbreitung von Referenzsystemen immer eine wichtige und aktive Rolle gespielt, die sie auch in Anbetracht der asymmetrischen Machtverhältnisse im kolonialen Zeitalter nicht verloren. Die Globalisierung führt, insofern sie sich als Verbreitung von Referenzsystemen darstellt, zu einer Standardisierung von Codes und erleichtert so den Fluss von Informationen. Aber gleichzeitig ruft sie auch neue Komplexitäten und Differenzen hervor: Alles ist gleich, aber eben nicht ganz. Mit Hilfe der standardisierten Codes können Informationen leicht zirkulieren, aber um "anzukommen", muss die Information in Wissen "übersetzt" werden, und dies Wissen muss örtliche Praxis sein. Übersetzungsprobleme, nicht allein von einer Sprache in eine andere, sondern in einem viel weiteren Verständnis als Probleme von Übertragung und Übertragung, auch die dabei entstehenden Verschiebungen und Verwerfungen, sind ein wichtiges übergreifendes Thema des Zentrums.

Die weiteren Ziele des Zentrums möchte ich unter den Stichworten Interdisziplinarität, Internationalität zusammenfassen.

Interdisziplinarität ist in den sogenannten "kleinen Fächern" schon lange nicht mehr nur eine Forderung. Sie ist überlebensnotwendig und sie ist gleichzeitig besonders schwer zu organisieren; sie ist im Großen selbstverständlich, und doch steckt auch hier der Teufel im Detail. Im Graduiertenzentrum sind eine große Anzahl sehr verschiedener Fachrichtungen vertreten, die zunächst nicht mehr gemeinsam haben, als dass sie sich im weitesten Sinn mit Kulturen Asiens und Afrikas befassen, wobei der fachliche Aus- und Zuschnitt zunächst durch die an der MLU bestehende Fächerlandschaft und das Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung, dessen Gastfreundschaft wir heute abend dankend genießen, bestimmt ist. Beteiligt sind also, gewissermaßen von Osten nach Westen, die Japanologie, die Südasienwissenschaft, die Islamwissenschaft und Arabistik, die Wissenschaft vom Christlichen Orient, die Jüdischen Studien - womit die Fächer benannt wären, für welche eine Region ein Namensbestandteil ist, wie groß auch immer diese Region sein mag. Hinzu kommen andere Fächer: die Ethnologie, die Politikwissenschaft, die Sprachwissenschaft, die Geschichte, die Philosophie, auch verschiedene Bereiche der Theologie, für die ein Ensemble von Fragestellungen und Methoden neben einem Gegenstandsbereich konstitutiv ist. Ich möchte hervorheben, dass die Bezeichnung "Regionalwissenschaft" eben nur einen Aspekt dessen benennt, was ich als das Ziel des Zentrums herausgestellt hatte: die detaillierte Kenntnis regionaler und örtlicher Verhältnisse; den systematischen Aspekt, die analytische Seite, kommt in diesem Begriff nicht zum Ausdruck. Es leuchtet ein, dass zwischen diesen beiden Aspekten eine Spannung besteht.
Diese Spannungen und Verknüpfungen möchte das Graduiertenzentrum in seiner Arbeit - für seine Arbeit fruchtbar machen. Dazu dient einmal das eigentliche Ausbildungsprogramm mit seinen drei Komponenten: das sind zum einen die Workshops und Seminare, die dem Training der sogenannten Schlüsselqualifikationen dienen, zum anderen die von den Doktoranden selbst organisierten Kolloquien, in denen sie über ihre Forschungsvorhaben diskutieren, und endlich die sogenannten study days, Veranstaltungen, in denen in unterschiedlicher Form Fächer übergreifende Themen verhandelt werden, wobei Beiträge aus den unterschiedlichen beteiligten Disziplinen und daher auch unter ganz unterschiedlichen methodischen Voraussetzungen zu besprechen sind. Noch sind wir hier in einer eher experimentellen Phase; zunehmend wollen wir jedoch, unter möglichst intensiver Auswertung der Erfahrungen aller Beteiligten, unserem Ziel näherkommen, eben der curricular strukturierten Graduiertenausbildung. Eine erste interne Evaluation hat stattgefunden; die interne Evaluation soll Routine werden, sie ist ein wichtiger Leitfaden bei der Weiterentwicklung unserer Arbeit. Neben diesen gewissermaßen "offiziellen" Veranstaltungen machen Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler zunehmend von der Möglichkeit Gebrauch, mit Hochschullehrern unterschiedlicher Disziplinen das Gespräch zu suchen. Strukturell ungeklärt ist die Frage, wie die von Doktoranden im Rahmen dieser Ausbildung erbrachten Leistungen in das Promotionsverfahren eingehen können.

Das zweite Stichwort heißt Internationalität. Die Internationalität, die Internationalisierung hat natürlich mehrere Aspekte. Zum einen soll unser Zentrum auch ein Angebot für Graduierte und Nachwuchswissenschaftler aus den jeweiligen Forschungsregionen und natürlich aus dem europäischen Raum sein, das versteht sich eigentlich von selbst. Die hier auftretenden strukturellen Probleme - etwa die noch nicht immer gegebene Kompatibilität der deutschen Promotionsordnungen mit Zeugnissen aus angelsächsisch oder französisch geprägten Systemen - will ich an dieser Stelle nicht ausbreiten. Ein anderer Punkt ist die Vertiefung bereits bestehender Kooperationen mit Forschungseinrichtungen in den jeweiligen Regionen bzw. die Aufnahme neuer Verbindungen. Kooperationen bestehen etwa mit Einrichtungen in Tokio, Neu Delhi auf formalisierter Ebene, eher informelle, teilweise aber auch bereits seit vielen Jahren bestehende Zusammenarbeit gibt es mit Zentren in der arabischen Welt (in Tunesien, Jordanien, Syrien und dem Sudan), in Taschkent, in Cape Coast (Ghana) und noch vielen anderen. Drittens, und das wird neu hinzukommen, bietet das Graduiertenzentrum als Institution die Möglichkeit, Kooperationen mit ähnlichen Einrichtungen im europäischen Raum und darüber hinaus aufzunehmen. Hier stehen wir noch am Anfang.
Das Angebot für Graduierten aus den Forschungsregionen hat bereits Auswirkungen. Der Standort Halle ist für Promovenden aus zumindest einigen dieser Regionen attraktiver geworden, was man an einer wachsenden Zahl von Anfragen feststellen kann. Einige sind bereits hergekommen, mit eigener Finanzierung. Dieser Trend wird sich sicher fortsetzen und wird von uns verstärkt. Das Zentrum ist somit ein geeignetes Instrument zur Aufnahme solcher Graduierten und, so hoffe ich, wird es auch zunehmend eine Unterstützung bei ihrer Betreuung sein. Auch für Stipendiaten auf der Post-Doc-Ebene wird Halle interessanter, eben weil es das Zentrum als eine aufnehmende Institution gibt. Es ist für Stipendienanträge von Vorteil, wenn man darauf verweisen kann, dass es am Zielort eine Einrichtung wie das Graduiertenzentrum gibt - und in der hier verbundenen Fächergruppe hat allein Halle ein solches Angebot.

Beide Aspekte, Interdisziplinarität und Internationalität, müssen weiter entwickelt werden. Im gleichen Zug, und im Grunde handelt es sich um ganz parallele Bemühungen, muss das Zentrum sich als ein Ausgangspunkt begreifen. Es ist ja klar, dass die Ziele, die hier angesprochen worden sind, nicht in kurzer Zeit erreicht werden können. Und wenn wir ihnen näher gekommen sein werden, wenn wir besser wissen werden, wie Interdisziplinarität und Internationalität in der Graduiertenausbildung organisiert werden können, führen wir das natürlich erst recht fort. Auf dem Weg dorthin ist die vom Land Sachsen- Anhalt gewährte Förderung von eminenter Bedeutung, und wir sind froh zu erfahren, dass die neue Landesregierung sich für die Fortführung der Exzelleninitiative ausgesprochen hat. Darüber hinaus aber ist es ebenso klar, dass die am Zentrum beteiligten Wissenschaftler, sowohl Hochschullehrer als auch Post-Docs, durch größere und kleinere Projektanträge einschließlich Promotionsstipendien, die Möglichkeiten des Zentrums sowohl nutzen als auch mehren sollten.

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