Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

SCM_LOGO_2015hp.jpg

Weiteres

Login für Redakteure

Krieg und Frieden im Brief des Priesterkönigs Johannes

von Jürgen Tubach

Zwischen den Jahren 1160 und 1165 erhielten der byzantinische Kaiser Manuel I. Komnenos (1144-1180) und Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1152-1190), der französische König Ludwig VII. (1137-1180) und Alfons I. Heinrich, der König von Portugal, Post aus Großindien, wie man die drei Indien (India tripartita) des Briefes vielleicht zusammenfassend nennen könnte. Das gleiche Schreiben erhielt im Jahr 1177 auch Papst Alexander III. (= Roland Bandinelli, 1159-1181), der anscheinend mehr Freude über das nicht allzu kurze Schriftstück empfand als etwa der byzantinische Kaiser. In dem Schreiben kündet der Johannes, der sowohl Priester als auch König ist, gleich zu Beginn an, dass er demnächst eine bewaffnete Wallfahrt nach Jerusalem zu machen gedenke. Der Brief erfreute sich einer sehr großen Popularität im Mittelalter:

§11. Wir haben das Gelübde getan, das Grab des Herrn mit einem sehr großen Heer, wie es für den Ruhm unserer Größe angemessen ist, zu besuchen, die Feinde des Kreuzes Christi zu demütigen und zu bekämpfen sowie seinen heiligen Namen zu verherrlichen.

Ziemlich ausführlich wird das immens große Reich beschrieben und die Macht, über die Johannes verfügt. Dabei ist die Aufzählung des militärischen Aufgebotes interessant, über das der Presbyter verfügt, obwohl er seine Feinde nicht immer unmittelbar bekämpft, indem er selbst ins Felde zieht:

§45. Unsere Huld empfängt alle fremden Gäste und Pilger. Arme gibt es bei uns nicht. 46. Diebe und Räuber findet man bei uns nicht, ebensowenig haben Schmeichler hier Platz noch Habgier. Zwietracht ist uns unbekannt. Unsere Leute haben alle Reichtümer im Überfluß. Wir haben wenige und billige Pferde. Nach unserer Kenntnis gibt es nirgends vergleichbaren Reichtum und entsprechende Zahlen an Menschen. 47. Wenn wir gegen unsere Feinde zu Felde ziehen, lassen wir 13 große und emporragende Kreuze, hergestellt aus Gold und Edelstein, je an den einzelnen Wagen an Stelle von Bannern vor unserem Angesicht hertragen, und jedem von ihnen folgen 10 000 Ritter und 100 000 bewaffnete Fußsoldaten, abgesehen von denjenigen, die für Lastentransport und Lebensmittelversorgung des Heeres zuständig sind.

Daß nahezu ideale Verhältnisse im Reich des Presbyters herrschen, wird mehrmals betont. Normalerweise zieht das Heer jedoch nicht unmittelbar gegen die Feinde des Presbyters, sondern es wird ein anderes Verfahren angewandt, das das Leben der Ritter schont und gleichzeitig die äußeren Feinde wirksam in Schach hält. Bei dieser Passage handelt es sich um einen frühen Einschub, der noch ins 12. Jahrhundert gehört.

§15. Wir herrschen über andere Volksstämme, die sich nur von Fleisch ernähren, sowohl Menschen- als Tierfleisch und besonders von Frühgeburten, und diese fürchten nicht, sterben zu müssen. Und wenn einer von ihnen stirbt, verspeisen ihn Verwandte wie Fremde mit Begierde, indem sie behaupten: "Menschenfleisch verzehren ist heiligstes Tun." 16. Die Namen dieser Völker sind Gog und Magog, Amic, Agic, Arenar, Defar, Fontineperer, Conäer, Samanten, Agrimander, Salteräer, Armäer, Anofragäer, Annicefeläer, Tasbäer, Alanäer. 17. Diese nämlich und viele andere Stämme schloß der Knabe Alexander der Große, König der Makedonen, zwischen hohen Bergen im Norden ein. Wenn es uns gelüstet, führen wir sie gegen unsere Feinde, und wenn sie von unserer Erhabenheit die Genehmigung dazu erhalten, verschlingen sie diese sofort, so daß kein Mensch und kein Tier übrigbleiben. 18. Wenn die Feinde vernichtet sind, führen wir sie wieder an ihre Wohnsitze zurück. Und das besorgen wir selbst, weil sie sonst alle Menschen und alles Getier restlos auffressen würden.

Fragen:

  1. Faktum und Fiktion: Wer könnte das historische Vorbild für die Gestalt des Presbyters gewesen sein?
  2. Die historische Lage im Orient zur Zeit der Abfassung des Briefes! Wer profitiert von den Adressaten am meisten vom Zug des Presbyters nach Westen bzw. nach Jerusalem? Warum hat man im Westen ein Interesse an einem solchen Bündnis?
  3. Theoretisch müsste der Wunsch des Presbyters eine Wallfahrt nach Jerusalem zu machen, bei den Adressaten auf große Freude gestoßen sein, zumal angekündigt war, dass die "Ungläubigen" als Nebeneffekt gedemütigt werden sollen! Sah der byzantinische oder der deutsche Kaiser im Presbyter Johannes einen potentiellen Verbündeten zur Eroberung des heiligen Landes?
    a) wem gehört Palästina de iure (nicht de facto)?
    b) wem würde es nach erfolgreicher Wallfahrt des Presbyters gehören?
    c) das Heeresaufgebot des Presbyters im Vergleich zu einem mittelalterlichen europäischen Ritterheer!
  4. Wie bekämpft der Presbyter nach dem Einschub in den Brieftext seine Feinde?
    a) Wer ist Gog und Magog
    b) der Knabe Alexander und das verschlossene Tor im Norden! Was ist damit gemeint? Aus welcher Quelle stammt das alles?
    c) was könnte das reale Vorbild - sieht man einmal vom literarischen ab - für diese Passage gewesen sein?
    d) Handlungsanweisung oder Anregung zum kreativen politischen Weiterdenken? Empfehlung zur Führung von Stellvertreterkriegen?
    d) Wie stellt sich der Einschub in den Brieftext den Zustand von Krieg und Frieden im Reich des Presbyters vor?

Zum Seitenanfang