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The Claim of Truth in Religious Contexts


Workshop, organisiert von Dr. Johannes Thon (Sektion 4)

10./11.01.2008


Beschreibung

Der Anspruch auf den Besitz der Wahrheit spielt in religiösen - besonders in monotheistischen - Zusammenhängen eine entscheidende Rolle. In diesem Workshop wird der Wahrheitsbegriff in verschiedenen Bereichen von der Antike bis zur Aufklärung thematisiert. In Vorträgen wird an einzelnen Fallbeispielen gezeigt, wie der Begriff inhaltlich gefüllt wird, ob die jeweilige Wahrheit einer Autorität bedarf, die sie verbürgt, wie sie argumentativ begründet werden kann, bzw. nach welchen Kriterien relevante religiöse Traditionen ausgewählt und andere herabgestuft oder verworfen werden. Nicht zuletzt werden philosophische Modelle betrachtet, die die Fähigkeit des menschlichen Intellekts, religiöse Wahrheiten zu erfassen, zu beschreiben versuchen.


Programm

Donnerstag, 10.01.2008

Ort: Franckeplatz 1, Haus 30, Hörsaal 1
Zeit:
14.30 - 18.00 Uhr

16.00 Uhr Begrüßung und Einführung

16.15 Uhr Anselm C. Hagedorn (Berlin),
Truth and reality in Biblical and Greek prophecy or law

18.00 Uhr Eckart Otto (München),
Controversies about Truth. God's Torah as a Cradle of Human Rights

ab 20.00 Uhr Offenes Gespräch in einem halleschen Restaurant

Freitag, 11.01.2008

Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Advokatenweg 36, 06114 Halle
Zeit:
09.00 - 17.00 Uhr

09.00 Uhr Johannes Thon (Halle),
Claims of clearness in biblical texts and the polyphony of text compositions

10.00 Uhr Björn Pecina (Halle),
Offenbarte Verbindlichkeit. Moses Mendelssohns Theorie des Zeremonialgesetzes als Paradigma konkreter Religiosität

11.00 Uhr Elvira Wakelnig (Warwick),
Active Intellect and its function in prophecy from al-Farabi to Maimonides

Mittagspause

14.00 Uhr Asma Hilali (Halle),
The notion of truth in hadith sciences

15.00 Uhr Heidrun Eichner (Halle),
Reliability of knowledge in Islamic dogmatic and legal theory (10th century)


Protokoll

In vielen, wenn nicht in den meisten Religionen wird ein fundamentaler Anspruch auf Wahrheit formuliert, und zwar nicht in Bezug auf Einzelfragen, sondern in Bezug auf die Deutung der Welt insgesamt. Gegenteilige Überzeugungen können oft nur schwer toleriert werden. Nicht nur zwischen verschiedenen Religionssystemen treten solche Spannungen auf, sondern auch innerhalb einer Glaubensgemeinschaft kann eine Pluralität an Meinungen zu Wort kommen und die Frage nach Kriterien oder Orientierungspunkten für die Wahrheit nach sich ziehen.

Jan Assmann hat einen besonders engen Zusammenhang zwischen Monotheismus und einem solchen intoleranten Wahrheitsanspruch gesehen und ihn als "Mosaische Unterscheidung" bezeichnet. Diese These wird ebensogern rezipiert, wie ihr fundamental widersprochen wird. Von den Referenten des Workshops hat der Münchener Alttestamentler Eckart Otto, diese Diskussion aufgegriffen und die These in Bezug auf das Deuteronomium überprüft. Dass polytheistische Auffassungen im Effekt viel toleranter und friedvoller wären, erscheine doch als ein sehr gewagter Rückschluss. Otto leitete den starken Ausschließlichkeitsanspruch des Alten Testaments, besonders in Texten des Deuteronomiums, gerade aus einem nicht monotheistischen Kontext ab: Er sei ein Gegenentwurf zum politischen Loyalitätsanspruch des assyrischen Königs. Indem diese Loyalität gerade nicht dem Großkönig, sondern Gott gegenüber gefordert wird, werde der Mensch von dem absoluten politischen Anspruch befreit, sodass gerade im Deuteronomium die Wiege der modernen Menschenrechtsgedankens zu suchen sei.

Da die Wahrheit zum Teil in einem überlieferten Text zur Sprache kommt, sollte sie dort möglichst eindeutig formuliert sein. Darüber sprach Johannes Thon (Halle). Eine solche Klarheit und - damit vergleichbar - Unveränderlichkeit - des Textes ist ein biblisches Postulat, das neben anderen Stimmen steht, die die Tiefe des Weltzusammenhangs für den Menschen als unergründbar erscheinen lassen. Die Vielstimmigkeit des biblischen Kanons als literarischer Großkomposition steht neben dem dominanten Postulat der Klarheit des Gotteswortes. Neuere Interpretationsmodelle versuchen diese integrativ angelegten kompositionellen Strukturen stärker zu würdigen.

Ein größerer Fragenkomplex hat mehrere Vorträge des Workshops miteinander verbunden: Die Verifizierbarkeit von Wahrheit. Anselm C. Hagedorn (Berlin) hat dieses Problem im Vergleich zwischen dem antiken Israel und Griechenland verfolgt. Dabei ist er vor allem auf zwei Bereiche spezieller eingegangen: Zum einen auf das Problem der Zeugenschaft und ihrer Funktion bei der Wahrheitsfindung. Im religiösen Kontext besteht zum anderen besonders virulent bei der Frage, ob und wie wahre und falsche Prophetie voneinander unterschieden werden können. Im Alten Testament erscheinen mehrere Ansätze, die z.T. der gleichen Logik wie bei der Frage der Zeugenschaft folgen, manchmal jedoch auch in Aporien enden. In Num12,6-8 wird ausdrücklich festgestellt, dass nur die Offenbarungen an Mose eindeutig und klar seien, während die Propheten mehrdeutige Träume und Visionen hätten.

Elvira Wakelnig (Warwick) hat die Frage der Prophetie in einem philosophischen mittelalterlichen islamischen und jüdischen Zusammenhang weitergeführt. Alfarabi knüpfte an der aristotelischen Seelenlehre an, um sie mit der neuplatonischen Emanationslehre zu verbinden. Offenbarung geschieht da, wo der vernunftbegabte Teil der Seele soweit vervollkommnet ist, dass er in Kontakt mit dem aktiven Intellekt als Emanation Gottes treten kann. Diese Emanation kann auch auf die Vorstellungskraft wirken, ist dabei jedoch stark mit irdischen Eindrücken vermischt. Maimonides erklärt damit die Möglichkeit falscher Prophetie - ein Ansatz, der bei diesem jüdischen Philosophen wohl mit der negativen Bewertung von Träumen und Visionen im Alten Testament (s.o.) zusammenhängt.

Einen starken Rückzug auf das rational Beschreibbare konnten die Teilnehmer auch in den Vorträgen zum islamischen Kontext wahrnehmen. Asma Hilali (Halle) sprach über die in der Hadith-Wissenschaft entwickelten Kriterien zur Unterscheidung von gesicherter und apokrypher Überlieferung in der Hadith-Literatur. Einerseits spielen dabei vor allem sachliche Aspekte eine Rolle, wie etwa klassische Regeln der Textkritik, andererseits - und hier tauchte wieder das Thema Zeugenschaft auf - bedarf ein richtiger Hadith einer überprüfbaren Überlieferungskette, die zum Propheten Mohammed oder seinem engsten Umfeld führt. Grundlage ist die Vorstellung einer idealen, einfachen und damit unverfälschten Anfangszeit des Islam. Der Prozess der Überprüfung der Hadithe sei, so Hilali, nie endgültig abschließbar, und sollten deshalb eher als ein andauernder Diskurs begriffen werden.

Heidrun Eichner beschrieb die für das islamische Recht des 10. Jhs. vorausgesetzten Erkenntnisquellen. Dabei spielt die Anwendung der Vernunft die primäre Rolle. Ebenso wird der Gottesgedanke daraus abgeleitet, wie die Verlässlichkeit von Wissen danach beurteilt werden muss, was mit Logik und allgemeiner Welterfahrung überhaupt als möglich gedacht werden kann. Integriert sind darin allerdings auch göttliche Wunder oder Offenbarungen, für die Gott durchaus die Macht habe, die gewöhnlich geltenden Regeln außer Kraft zu setzen.

Mit dem Vortrag von Björn Pecina (Halle) über die Bibelhermeneutik bei Moses Mendelssohn war zeitlich ein ganz anderes Feld berührt - die Aufklärung. Auch hier spielte die Vernunft natürlich eine eminent wichtige Rolle. Gerade die religiöse Wahrheit wurde inhaltlich soweit auf rationale Grundüberzeugungen reduziert, dass Differenzpunkte zwischen verschiedenen religiösen Positionen möglichst überwunden wurden. Dem schloss sich auch Moses Mendelssohn an, um mit christlichen Gesprächspartnern eine geeignete Basis zu finden. Dass einer derart entkleideten vernünftigen Religiosität im konkreten Fall des Judentums das Ritualgesetz als positive Offenbarung an die Seite gestellt wurde, erfuhr vor allem eine emotionale Begründung ("Empfindung"). Die alltägliche Praxis des Gesetzes beruhe demnach nicht auf einer ewigen Wahrheit, sondern ist ein von Gott gewähltes Mittel, die (modern gesprochen) j"udische Identität zu fördern.

Die Sequenz von Fallstudien zu religiösen Wahrheitsansprüchen habe, so Thon in einem Abschlussstatement, deutlich gemacht, dass fremde, oder Anteile eigener Religiosität als verunsichernd und bedrohlich wahrgenommen werden können. Es werden deshalb Kriterien gesucht, die autoritativ verbindlichen Elemente des Religiösen von anderen zu unterscheiden, die vernachlässigt werden können, bzw. sogar ausgeschlossen werden müssen. Bei diesem Vorgang hat durch die verschiedenen Kontexte hindurch Rationalität als wichtiger Orientierungspunkt gedient, Wahrheit festzumachen. Man könne allerdings auch davon sprechen, dass eine derart mithilfe der Vernunft gebändigte Religiosität im Grunde keine solche mehr wäre. Prophetie etwa, die vernünftig ist und weder Träume noch Visionen hat, sei keine Prophetie. Dagegen könne die Einsicht stehen, dass eine religiöse Wahrheit zu einem großen Teil emotional begründet sei. Hier sei möglicherweise ein Ansatz zu sehen, dass Wahrheitsansprüche, die einander in ihren sprachlich formulierten (und daher rational nachvollziehbaren) Aussagen widersprechen, als Teil emotionaler Identitätssicherung durchaus nebeneinander toleriert werden könnten.

(Johannes Thon)


Workshop-Publikation

Die Beiträge des Workshops wurden als Band der “Orientwissenschaftlichen Hefte” publiziert: Johannes Thon, Hrsg. (2009). The Claim of Truth in Religious Contexts. Results of an Interdisciplinary Workshop of the Graduate School “Society and Culture in Motion” (Halle/Saale). Orientwissenschaftliche Hefte, 27/2009. Halle (Saale): Zentrum für Interdisziplinäre Regionalstudien – Vorderer Orient, Afrika, Asien.

Inhalt:

  • Johannes Thon: Truth, Lie, and Language. An Introduction from a Biblical Perspective
  • Johannes Thon: The Claim of Clearness in Biblical Texts and the Polyphony of Literary Compositions
  • Asma Hilali: The Notion of Truth in Hadith Sciences
  • Ahmed Abd-Elsalam, Johannes Thon: Die Bibel des Ibn Katir. Textkritik zu Gen 22 als Argument des Verfälschungsvorwurfs
  • Heidrun Eichner: Dogma und Jurisprudenz im Wissenschaftssystem von al-Guwayni und al-Gazali
  • Elvira Wakelnig: Die Rolle des Aktiven Intellektes in der Prophetie bei Farabi und Maimonides
  • Björn Pecina: Offenbarte Handlungen. Religion als Zeremonie bei Moses Mendelssohn

Weitere Informationen auf der Homepage des ZIRS.

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